Gehen. Kommen. Charly, Joschi.

Viele sind gegangen – er ist noch da – – – Auch er muss mit den Verlusten umgehen. Dem never more.

Wenn die Bomben einschlagen, die das Niemehr säen, kommt er zu kurz. Der Blick dreht sich nach innen, während er da draussen steht. An der Seite derer steht, die eine Zeitlang neben sich stehen. An unserer Seite. Harter Regen geht nieder, der Regen perlt über sein Fell, er saugt sich voll damit, aber da steht er – – – 

Als Charly ging (das ist eine Geschichte, die wirklich niederzuschreiben ich noch nicht richtig reif bin), weinte er. Wir haben es ganz genau gesehen: Tränen lösten sich aus seinen Augenwinkeln. Er kratzte hektisch an den Plätzen, an denen der grosse Bruder, der ihm soviel Sicherheit und Geborgenheit gegeben hatte, gelegen war.

Dann hat er übernommen. Nicht das Szepter, das tun Hunde nicht, das liegt Hunden nicht. Er hat sich und uns aufgerappelt. Es geht weiter. Gehen wir weiter. Man muss unterwegs sein. Man muss unterwegs bleiben. Das Rudel muss in die Nacht eintauchen, in den Tag, in den Wald, ins Wasser. Nur bewegliche Rudel sind Rudel. Ja, ich komme, Neruda, ich komme. Die Anpassungsfähigkeit von Hunden – das beeindruckt mich schon. Immer mehr. Wie sie ins Wasser geworfen werden und schwimmen. In Nerudas Fall sogar elegant. So elegant, dass man ins Träumen verfällt – tief im Wasser liegend, mit konsequenten, ausholenden Zügen. Ein sanfter, schneller Pflug – – –

Ein Text über die Jagd und die Jäger würde anstehen.
Ein Text über Hundeschulen.
Ein Text über Coppinger.
Ein Text über die Demonstration in Lausanne gegen das neue Hundegesetz des Kantons Waadt.

Es ist so viel gegangen. Es sind so viele gegangen – – –

Joschi ist gekommen.

Das erste Mal, als wir in Steinen im Kanton Schwyz nach zweieinhalb Stunden Autofahrt vor dem Rütelihof hielten, hüpfte er fröhlich aus der Box. Die Mutter der Welpen und deren Mutter, also die Grossmutter der Welpen, haben ihn heftig gestallt. Du machst keinen einzigen Schritt, verstanden! Keinen, capito! Er stand mucksmäuschenstill zwischen den beiden Hunden, keine einzige Sehne und kein einziger Muskel machten auch nur Pieps, und vermutlich hat er auch nicht mehr geatmet. Er wollte wieder ins Auto, in die Sicherheit. Von dort aus hat er, sichtlich unwohl, beobachtet, wie wir mit den Welpen spielen. Es war heiss, ich habe ihm Wasser gebracht, er hat nur daran genippt. Das zweite Mal durfte er wenigstens atmen. Aber er blieb doch lieber im Auto. Am Wasser hat er wieder nur genippt. Ihm schwante Böses. Richtig glücklich sah er erst aus, als wir wegfuhren. Gelt, der kommt nicht mit?

Beim dritten Mal durften wir Joschi mitnehmen auf einen kleinen Stroll in die Hostet unterhalb des Bauernhofs. Er hat Joschi freundlich beschnuppert, und er liess sich von Joschi freundlich beschnuppern. Die zwei Zweibeiner sind freundlich zu dem kleinen, aufdringlichen – – – Dingsda – dann muss ich es wohl auch sein. Wir sind eine Familie, gelt? Ja, das sind wir, Neruda. Das sind wir. Mach dir keine Sorgen. Er legte sich dann ins Gras, etwas entfernt, und beobachtete die Szenerie, mit dem Kopf auf den Pfoten. Dem Kopf, der ein wenig schwerer war als gewohnt – – – Vom vielen Rauch, der sich darin angesammelt hatte.

Jetzt war er wieder der Philosoph: Er bedachte seine Welt. Er bedachte uns – – –

Er kam zum Schluss, zum klugen Schluss: Ich bin der Onkel. Er ist so herzerwärmend freundlich, so sanft zu dem Kleinen. Der Kleine hängt ihm an den Lefzen, knabbert an ihm mit seinen spitzen Skalpellzähnen, bellt ihm in die Ohren. Er nimmt das hin. Stoisch. Ab und an (seltenst) wird er pädagogisch: Jetzt langts aber, das tut weh. Sobald es Joschi begriffen hat, ist er wieder sanft.

Die Herbstspaziergänge – – – Die Pilze knirschen aus dem Boden und falten auf – – – er geniesst die Herbstspaziergänge in vollen Zügen. Volle Pulle – – – Danke, dass sich nichts geändert hat, danke! Nein, Neruda, es hat sich nichts geändert: Du bist immer noch und immer in mînem Herzen drîn, und verloren sinn die Schlüzzelîn.

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Immer öfter legt er den Kopf auf meine Beine, meinen Kopf, meine Knie. Dann liege ich mucksmäuschenstill, und keine einzige Sehne, kein einziger Muskel machen auch nur Pieps. Alter, schöner, lieber Hund, flüstere ich ihm zu.

Gestern legte ich mir den Satz zurecht: Hunde haben ein edles Gemüt – – – und eine innere Schönheit, die wunderbar glitzert. Als ich mir den Satz und sein Und zurechtlegte, blickte ich die ganze Zeit auf ihn. Und dann beschloss ich: Nein, ich schäme mich nicht für den Satz. Höchstens dafür, dass er zu klein, zu mickrig ist, um Neruda gerecht zu werden. Dafür schäme ich mich. [Die Krux der Schreibenden: I cannot heave my heart into my mouth.] Aber ich arbeite daran, mein Freund. Ich suche nach den Sätzen, die dich, wenn nicht treffen, so dir doch wenigstens nahe kommen. Nahe kommen – – – Das ist es, was uns verbindet, oder? Ja, das ist es – – – Komm, jetzt gehen wir in den Wald, in den tiefen, dunkelen, sicheren Wald, zu den knirschenden Pilzen.
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