Mein persönlicher Weltmeister

Heute morgen hat er wieder mal seine «dummen fünf Minuten». Im Grünstreifen vor dem Chandon ist er herumgehopst, hat Haken geschlagen wie ein Hase, die Richtung abrupt geändert. Richtig ausgelassen und fröhlich war er, er hat über das ganze Gesicht gegrinst. Früher (früher – – –) hat er das öfter getan. Er ist jetzt ein gesetzter Herr, man hat Anstandspflichten in seinem Alter. Aber ab und zu tut er es immer noch. Dann schaue ich ihm zu, mein Blut pulst warm, und ich schlage innerlich Hasenhaken. Hör nie auf zu spielen, der letzte der drei Sätze, die Elli Radinger als Quintessenz aus ihrer lebenslangen Beschäftigung mit Wölfen extrahiert hat, meldet sich kurz und verlöscht grad wieder.

Er schläft jetzt länger.
Er begibt sich früher zur Ruhe.
Er spielt nicht mehr mit jedem anderen Hund.
Wenn ich mit ihm spiele, wird er nach einer gewissen Zeit müde und legt sich hin.
Ich lege mich zu ihm hin und kraule sein Fell
War gut, gell, sagt er. Ja, war sehr gut, sage ich.
Ich bin halt müde, entschuldige, sagt er.
Woher denn, sage ich.
Wir dürfen, wir müssen nicht, sage ich.
Er legt sein Haupt auf meinen Arm, schliesst die Augen und geniesst die Massage.

Kluger Hund.

Ich schaue Filme an von Hundesportveranstaltungen. Manchmal gehe ich an «Turniere» und schaue zu. Klaro: Wir würden jedes Mal disqualifiziert. Er ist nicht so gut in diesen Wettbewerben. Ich bin daran schuld. Ich habe ihn nicht dafür «gezüchtet». Liess zuviel Ungerades gerade sein, als dass ich einen Weltmeister hätte hervorbringen können. Ich schaue zu, wie schnell, hoch und weit die Hunde voranpushen. Ich sehe die Hundeführer und den Schweiss auf ihren Stirnen, die hervorstehenden Adern. Ich höre den Applaus, den der schnellste, beste erhält.

Die Kompetitivität der Gesellschaft spiegelt sich im Sprung, der Drehung des Hundes. Schnell, schnell, wir wollen siegen. Dog-Dancing-Turniere gewinnen nur noch Spezialisten, die hart trainieren. Profitänzer.

Wir beide bewegen uns in einer Amateurwelt.

Er kommt jetzt zurück von den Rehen, wenn ich ihn rufe.
Er läuft so gut Leine, dass ich auf dem Wegstück von den Bisons zurück an den Chandon, auf dem ab und an ein Auto auftaucht, nicht mehr merke, dass er an der Leine ist. Sie hängt durch, und ich schaue mich um, ob er noch da sei. Ja, das ist er: Er schaut mich kurz an. Ich geh doch nicht weg, was denkst du denn, sagt er. Ich passe immer noch auf dich auf, sagt er. Danke, Neruda, kanns gebrauchen.
Es geht nicht mehr so leicht und ansatzlos, ins Auto zu springen.
Er ist nicht mehr so schnell.
Er ist immer noch schnell.
Zu Lande und vor allem im Wasser. Wie ein geölter Otter pfeilt er durch das Wasser des Murtensees, in dem die Strahlen der Herbstsonne auszittern, über sein schwarzes Fell hinweggleiten und sich in seinen warmbraunen Augen spiegeln.

Die Welt erobern wir nicht, halte ich fest.
Das haben wir schon längst getan. Sie gehört immer noch uns. Wir erobern sie jeden Tag, hält er empört entgegen.
Hast ja recht.

Immer noch findet er alle, die einen Puls haben und in denen Blut fliesst, unwiderstehlich. Er kann immer noch wedeln wie ein Weltmeister. Das ganze Gestell wackelt, wenn er wedelt. Ein Weltmeister – – –
In der höchsten und edelsten aller Disziplinen.

Er kann schon sehr viel, der Neruda. Sehr viel.

Er ist der beste Botschafter für die Sache der Hunde, den es überhaupt gibt auf dieser Welt. Und wer, wenn nicht Hunde, brauchen dringend Botschafter?

Und während ich das schreibe, liegt er mir zu Füssen, den Kopf leicht auf meinen Füssen aufgelegt. Er schnärchelt leise. Music in my ears, fällt mir ein – – –
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