On literature
LiteraTour, 12.10.2011
28/11/11 13:21
Die LiteraTour ist eine Lesetour der Preisträgerinnen und Preisträger des Berner Literaturpreises, die jedes Jahr neu aufgelegt wird. Bern, Burgdorf, Thun, Langenthal, Thun, Saanen, Langnau, Interlaken, Schwarzenburg, überall dort wird 2011 gelesen, in unterschiedlichen Zusammensetzungen.
In Biel: Franz Dodel, Urs Mannhart und Ernst Schär, Tommy Vercetti, «Bern ist überall» mit Noëlle Revaz, Michael Stauffer und dem Musiker Michael Pfeuti
Die LiteraTour wird vor-organisiert. Wir müssen nicht viel beitragen. Keine Hotels reservieren, keine Einführung schreiben. Den Saal reservieren, die Einladungen verschicken. Und dann dürfen wir für einmal einfach dort sein. Der Kanton Bern zahlt sogar ein Apéro. Kultur auf dem Parkett, Orangensaft, Tapitas. Ist ok, ist ok.
Schriftsteller leben eher schlecht als recht, wenn sie nicht gerade Harry Potter unter der Treppe haben. Der Staat leistet sich sie. Seht, wir schauen nicht nur aufs Geld, auf den Wachstumskoeffizient, die Konsumentenstimmung. Ein Staat, der sich Kritik leistet, ist vermutlich besser als ein Staat, der Kritik unterdrückt. Mit den Lesungen verdienen sich die Autorinnen und Autoren zum Preisgeld hinzu ein Zubrot. Ein Zubrötchen. Tapitas.
Henry Kissinger erhält für eine einstündige Rede 250'000 Dollar. Obwohl er vor sehr langer Zeit als Nationaler Sicherheitsberater der USA tätig war (1969 bis 1973), und die Welt keineswegs sicherer geworden ist, ist er immer noch sehr gut im Geschäft. Clinton erhält das Doppelte, Greenspan immerhin noch 300'000. Schriftsteller backen da kleinere Brötchen. Tapitas. Von Kissinger stammt der Satz, das wirksamste Aphrodisiakum sei die Macht. So Sätze sind schon eine Viertelmillion wert.
Bei Franz Dodel steht der Satz «Es ist etwas Geistiges in den Schneehasen; gut ist, dass sie sich vermehren.»1 Damit wird man natürlich nicht aphrodisisch. So wenig wie mit dem «Haiku, endlos», an dem er seit 2002 fortschreibt.2
Wirtschaftlich noch sinnloser ist die Arbeit von Urs Mannhart und Ernst Schär: 14 Lithographien von Gräsern (Lithograph: Ernst Schär) mit kurzen Texten von Urs Mannhart, zusammengestellt zu einer bibliophilen Mappe, Titel: Halm oder die Verlängerung des Abends in die Gräser hinein, Auflage: 50. Eine Mappe kostet 250 Franken. Wenn ich sie dabei gehabt hätte, hätte ich eine Mappe gekauft. Nicht nur, um wirtschaftlich völlig sinnlose Unterfangen zu unterstützen. Ich bin kein Rotarier. Sondern um mich zu unterstützen. Wenn ich die 250'000 Dollar für Kissinger hätte, würde ich ihn mir trotzdem nicht leisten. Er unterstützt mich nicht. Ich glaube, wer Kissinger kauft, will nicht wissen, was er erzählt (nein halt, das ist nicht das richtige Wort – was er für eine Rede hält). Er will zeigen: Ich kann mir Kissinger leisten. Aphrodisiaka kaufen. Berührend, wie Schär die wissenschaftlichen lateinischen Namen der Seggen ernst herunterliest. Es ist schwieriger, als zu sagen: Vietnam. Fein, klug, was Mannhart zu den banalen Gräsern einfällt. So fein und klug, dass ihnen die Banalität abhanden kommt.
Tommy Vercetti gehört einer jungen Generation an. Er rappt. Es ist kein beinharter Saintlouisrap. Auch kein Goethe. Er hat ein gutes Rhythmusgefühl. Vielleicht hat sich der gehobene Teil der Kommission damit schwer getan, einen Rapper zur Literatur zu rechnen, und ihm einen Preis zu verleihen. Ich kaufe mir die CD3. Man soll offen bleiben. Man soll nicht verhocken. Man soll über den Horizont hinausschauen. Manchmal besuche ich Slam-poetry-battles. Dort stehe ich dann, und trinke ein Bier, und dann noch eines. Dann kommt die Pause, und dann trinke ich ein weiteres Bier. Mehr verträgts nicht, da ich noch über eine Stunde zurück nach Hause fahren muss. Das Publikum lacht dort, wo es vorgesehen ist, dass es lacht. Manchmal sehe ich den Unterschied zwischen einem Standup-Comedian und einem Slampoet nicht. In New York sah ich junge Schwarze («black afroamericans»), die ganz ernsthafte, wunderbare Raplyrik vortrugen. Mit einer harten, beinharten Diktion. Aber die Texte, Mann, die Texte haben mir die Ärmel reingezogen, echt, Mann, literally. Jederzeit wieder, gern. Ich war fast ein wenig süchtig nach diesen Texten, die auch vom Meer sprachen, papa we’re gonna sailing, vom Indian Summer in Maine und Vermont, und von Mischlingshunden. Auch Vercetti würde ich, wieder, gern, schauen, jederzeit. Dass er geehrt wurde, ehrt auch die Kommission, die ihm diese Ehre zuteilte.
«Bern ist überall» ist lustig. Jaja. Man kann Sprache verballhornen, mit ihr spielen, sie quetschen, dehnen, langziehen, kurzfädeln. Natürlich hat sie per se eine rhythmische Qualität, und eine Melodie. Und natürlich kann man aus Sprache einen Event machen, und die Worte sportlich herunterfetzen. Das kommt meistens gut an, ist ok, ist ok so. Nichts dagegen.
Der Applaus bei Kissinger, kann ich mir vorstellen, ist brandender, tosender als der an diesem Abend heute. So ist das, heute, auf diesem Planet Erde.
«Auch wir Menschen kennen dieses Sehnen; das ist es, was die Hunde an uns so gerne riechen.»4
1 DODEL, Franz: Von Tieren. Bern 2010 (edition taberna kritika), S. 70
2 http://www.franzdodel.ch/haiku/
3 VERCETTI, Tommy: Seiltänzer (CD, EAN 761202796782)7, erhältlich z.B. bei Ex Libris
4 DODEL, Franz: op. cit., S. 85
In Biel: Franz Dodel, Urs Mannhart und Ernst Schär, Tommy Vercetti, «Bern ist überall» mit Noëlle Revaz, Michael Stauffer und dem Musiker Michael Pfeuti
Die LiteraTour wird vor-organisiert. Wir müssen nicht viel beitragen. Keine Hotels reservieren, keine Einführung schreiben. Den Saal reservieren, die Einladungen verschicken. Und dann dürfen wir für einmal einfach dort sein. Der Kanton Bern zahlt sogar ein Apéro. Kultur auf dem Parkett, Orangensaft, Tapitas. Ist ok, ist ok.
Schriftsteller leben eher schlecht als recht, wenn sie nicht gerade Harry Potter unter der Treppe haben. Der Staat leistet sich sie. Seht, wir schauen nicht nur aufs Geld, auf den Wachstumskoeffizient, die Konsumentenstimmung. Ein Staat, der sich Kritik leistet, ist vermutlich besser als ein Staat, der Kritik unterdrückt. Mit den Lesungen verdienen sich die Autorinnen und Autoren zum Preisgeld hinzu ein Zubrot. Ein Zubrötchen. Tapitas.
Henry Kissinger erhält für eine einstündige Rede 250'000 Dollar. Obwohl er vor sehr langer Zeit als Nationaler Sicherheitsberater der USA tätig war (1969 bis 1973), und die Welt keineswegs sicherer geworden ist, ist er immer noch sehr gut im Geschäft. Clinton erhält das Doppelte, Greenspan immerhin noch 300'000. Schriftsteller backen da kleinere Brötchen. Tapitas. Von Kissinger stammt der Satz, das wirksamste Aphrodisiakum sei die Macht. So Sätze sind schon eine Viertelmillion wert.
Bei Franz Dodel steht der Satz «Es ist etwas Geistiges in den Schneehasen; gut ist, dass sie sich vermehren.»1 Damit wird man natürlich nicht aphrodisisch. So wenig wie mit dem «Haiku, endlos», an dem er seit 2002 fortschreibt.2
Wirtschaftlich noch sinnloser ist die Arbeit von Urs Mannhart und Ernst Schär: 14 Lithographien von Gräsern (Lithograph: Ernst Schär) mit kurzen Texten von Urs Mannhart, zusammengestellt zu einer bibliophilen Mappe, Titel: Halm oder die Verlängerung des Abends in die Gräser hinein, Auflage: 50. Eine Mappe kostet 250 Franken. Wenn ich sie dabei gehabt hätte, hätte ich eine Mappe gekauft. Nicht nur, um wirtschaftlich völlig sinnlose Unterfangen zu unterstützen. Ich bin kein Rotarier. Sondern um mich zu unterstützen. Wenn ich die 250'000 Dollar für Kissinger hätte, würde ich ihn mir trotzdem nicht leisten. Er unterstützt mich nicht. Ich glaube, wer Kissinger kauft, will nicht wissen, was er erzählt (nein halt, das ist nicht das richtige Wort – was er für eine Rede hält). Er will zeigen: Ich kann mir Kissinger leisten. Aphrodisiaka kaufen. Berührend, wie Schär die wissenschaftlichen lateinischen Namen der Seggen ernst herunterliest. Es ist schwieriger, als zu sagen: Vietnam. Fein, klug, was Mannhart zu den banalen Gräsern einfällt. So fein und klug, dass ihnen die Banalität abhanden kommt.
Tommy Vercetti gehört einer jungen Generation an. Er rappt. Es ist kein beinharter Saintlouisrap. Auch kein Goethe. Er hat ein gutes Rhythmusgefühl. Vielleicht hat sich der gehobene Teil der Kommission damit schwer getan, einen Rapper zur Literatur zu rechnen, und ihm einen Preis zu verleihen. Ich kaufe mir die CD3. Man soll offen bleiben. Man soll nicht verhocken. Man soll über den Horizont hinausschauen. Manchmal besuche ich Slam-poetry-battles. Dort stehe ich dann, und trinke ein Bier, und dann noch eines. Dann kommt die Pause, und dann trinke ich ein weiteres Bier. Mehr verträgts nicht, da ich noch über eine Stunde zurück nach Hause fahren muss. Das Publikum lacht dort, wo es vorgesehen ist, dass es lacht. Manchmal sehe ich den Unterschied zwischen einem Standup-Comedian und einem Slampoet nicht. In New York sah ich junge Schwarze («black afroamericans»), die ganz ernsthafte, wunderbare Raplyrik vortrugen. Mit einer harten, beinharten Diktion. Aber die Texte, Mann, die Texte haben mir die Ärmel reingezogen, echt, Mann, literally. Jederzeit wieder, gern. Ich war fast ein wenig süchtig nach diesen Texten, die auch vom Meer sprachen, papa we’re gonna sailing, vom Indian Summer in Maine und Vermont, und von Mischlingshunden. Auch Vercetti würde ich, wieder, gern, schauen, jederzeit. Dass er geehrt wurde, ehrt auch die Kommission, die ihm diese Ehre zuteilte.
«Bern ist überall» ist lustig. Jaja. Man kann Sprache verballhornen, mit ihr spielen, sie quetschen, dehnen, langziehen, kurzfädeln. Natürlich hat sie per se eine rhythmische Qualität, und eine Melodie. Und natürlich kann man aus Sprache einen Event machen, und die Worte sportlich herunterfetzen. Das kommt meistens gut an, ist ok, ist ok so. Nichts dagegen.
Der Applaus bei Kissinger, kann ich mir vorstellen, ist brandender, tosender als der an diesem Abend heute. So ist das, heute, auf diesem Planet Erde.
«Auch wir Menschen kennen dieses Sehnen; das ist es, was die Hunde an uns so gerne riechen.»4
1 DODEL, Franz: Von Tieren. Bern 2010 (edition taberna kritika), S. 70
2 http://www.franzdodel.ch/haiku/
3 VERCETTI, Tommy: Seiltänzer (CD, EAN 761202796782)7, erhältlich z.B. bei Ex Libris
4 DODEL, Franz: op. cit., S. 85
Comments
Terézia Mora
19/04/11 15:09
Am 13. April las Terézia Mora aus ihrem Roman «Der einzige Mann auf dem Kontinent»1.
Sie wäre letztes Jahr vorgesehen gewesen, war dann allerdings erkrankt und musste die Lesung ausfallen lassen.
Ich holte sie vom Bahnhof ab. Haben Sie Angst vor Hunden? Mein Auto ist ein Hundeauto. – Nein, wo sitzen die Hunde denn nie? – Vorne rechts auf dem Sitz. – Da werd ich mich dann hinsetzen.
Sie kennt Biel bereits ein wenig von ihrer Tätigkeit am Literaturinstitut her. Durch diese Allee bin ich jeweils mit «meinen» Studenten gegangen, Richtung Bahnhof. Das war sehr angenehm in Biel damals. Ich kenne das Leipziger Literaturinstitut auch ein wenig. Zwischen Leipzig und Biel gibt es einen Unterschied: Wenn ich in Biel darum bat, auf die nächste Woche ein Buch zu lesen, so war es, als ich nachfragte, tatsächlich gelesen. Wenn ich dies und jenes zu schreiben bat, wurde umgehend dies und jenes geschrieben. Brav! Angenehm!
Sie war letzte Woche in Budapest, fühlt sich seither krank. Sie werde einen Tee trinken im Hotel.
Am Abend hole ich sie wieder ab in der Villa Lindenegg. Der Kamillentee habe ihr gut getan, meinte sie. Wenn man auf dem Bett liege, sehe man durch das Dachfenster das Blattwerk der Bäume.
Das Blattwerk der Bäume.
Sie bittet mich, nicht so schnell zu gehen. Die Schuhe. Ich hatte den Hundegang. Die Altstadt ist fast leer. An die Lesung kommen um die 20 Personen. Es ist wie früher. Alles dünn gesät, gelichtet. Als wäre die Literatur ausgewandert. Als wären wir hoffnungslose Romantiker, die sich nicht in den Lauf der Dinge, wie sie nun mal sind, schicken können.
Romantiker.
Hoffnungslos.
Sich nicht darein schicken können.
Die Kaffeemaschine wird abgestellt. Sie pufft und zischt manchmal während der Lesungen. Deshalb wird sie nun jeweils abgestellt.
Sie liest fulminant, unterstützt das Gelesene mit Handbewegungen, Armbewegungen. Sie geht mit mit sich. Nicht so könnerhaft abgespult wie eine Schauspielerin.
Ich mache mir ein paar Notizen. Wortblitze, die in mich hineingewittern und dann auszittern.
Man hat ihr empfohlen, Fleisch zu essen in der Schweiz. Das Fleisch sei so gut hier. Keine Ahnung, woher das Gerücht stammt. Das Fleisch war ein wenig zu gut durch. Sie ist erfrischend, klug, schnell. Der Abend schaukelt vorbei, lau, sanft. Ich bringe sie noch zum Hotel.
Gute Reise morgen. Berlin.
Ich hatte in einer Todesanzeige einen Satz von Kafka gelesen, der mir nicht mehr aus dem Sinn wollte: Man sieht die Sonne langsam untergehen und erschrickt doch, wenn es plötzlich dunkel wird. Jetzt habe ich nachgelesen, dass das ein «untergeschobenes» Zitat sei. Früher wäre ich dem nachgegangen. Heute nicht mehr. Aber der Satz ging MIR nach. Wie der Gedanke an das Picanha-Fleisch, das ich gegessen hatte am Wochenende. Wirklich gutes Fleisch. Aus Brasilien, nicht aus der Schweiz.
Was können wir überhaupt noch? Literatur organisieren. Literatur für ein paar wenige. Mohikaner.
Kafka. Nichtkafka. Mässiges Fleisch. Gutes Fleisch.
Ich warte noch, bis niemand mehr an meinen Roman glaubt. Dann werde ich ihn auf den Grill werfen. Saignant.
1 Luchterhand Literaturverlag, München 2009.
Sie wäre letztes Jahr vorgesehen gewesen, war dann allerdings erkrankt und musste die Lesung ausfallen lassen.
Ich holte sie vom Bahnhof ab. Haben Sie Angst vor Hunden? Mein Auto ist ein Hundeauto. – Nein, wo sitzen die Hunde denn nie? – Vorne rechts auf dem Sitz. – Da werd ich mich dann hinsetzen.
Sie kennt Biel bereits ein wenig von ihrer Tätigkeit am Literaturinstitut her. Durch diese Allee bin ich jeweils mit «meinen» Studenten gegangen, Richtung Bahnhof. Das war sehr angenehm in Biel damals. Ich kenne das Leipziger Literaturinstitut auch ein wenig. Zwischen Leipzig und Biel gibt es einen Unterschied: Wenn ich in Biel darum bat, auf die nächste Woche ein Buch zu lesen, so war es, als ich nachfragte, tatsächlich gelesen. Wenn ich dies und jenes zu schreiben bat, wurde umgehend dies und jenes geschrieben. Brav! Angenehm!
Sie war letzte Woche in Budapest, fühlt sich seither krank. Sie werde einen Tee trinken im Hotel.
Am Abend hole ich sie wieder ab in der Villa Lindenegg. Der Kamillentee habe ihr gut getan, meinte sie. Wenn man auf dem Bett liege, sehe man durch das Dachfenster das Blattwerk der Bäume.
Das Blattwerk der Bäume.
Sie bittet mich, nicht so schnell zu gehen. Die Schuhe. Ich hatte den Hundegang. Die Altstadt ist fast leer. An die Lesung kommen um die 20 Personen. Es ist wie früher. Alles dünn gesät, gelichtet. Als wäre die Literatur ausgewandert. Als wären wir hoffnungslose Romantiker, die sich nicht in den Lauf der Dinge, wie sie nun mal sind, schicken können.
Romantiker.
Hoffnungslos.
Sich nicht darein schicken können.
Die Kaffeemaschine wird abgestellt. Sie pufft und zischt manchmal während der Lesungen. Deshalb wird sie nun jeweils abgestellt.
Sie liest fulminant, unterstützt das Gelesene mit Handbewegungen, Armbewegungen. Sie geht mit mit sich. Nicht so könnerhaft abgespult wie eine Schauspielerin.
Ich mache mir ein paar Notizen. Wortblitze, die in mich hineingewittern und dann auszittern.
Man hat ihr empfohlen, Fleisch zu essen in der Schweiz. Das Fleisch sei so gut hier. Keine Ahnung, woher das Gerücht stammt. Das Fleisch war ein wenig zu gut durch. Sie ist erfrischend, klug, schnell. Der Abend schaukelt vorbei, lau, sanft. Ich bringe sie noch zum Hotel.
Gute Reise morgen. Berlin.
Ich hatte in einer Todesanzeige einen Satz von Kafka gelesen, der mir nicht mehr aus dem Sinn wollte: Man sieht die Sonne langsam untergehen und erschrickt doch, wenn es plötzlich dunkel wird. Jetzt habe ich nachgelesen, dass das ein «untergeschobenes» Zitat sei. Früher wäre ich dem nachgegangen. Heute nicht mehr. Aber der Satz ging MIR nach. Wie der Gedanke an das Picanha-Fleisch, das ich gegessen hatte am Wochenende. Wirklich gutes Fleisch. Aus Brasilien, nicht aus der Schweiz.
Was können wir überhaupt noch? Literatur organisieren. Literatur für ein paar wenige. Mohikaner.
Kafka. Nichtkafka. Mässiges Fleisch. Gutes Fleisch.
Ich warte noch, bis niemand mehr an meinen Roman glaubt. Dann werde ich ihn auf den Grill werfen. Saignant.
1 Luchterhand Literaturverlag, München 2009.
Norbert Gstrein
14/03/11 11:45
Am 4. März las Norbert Gstrein aus seinem Roman «Die ganze Wahrheit».
Ich holte ihn ab in der «Lindenegg», er sass im wintergartenhaften Vorbau. Wir tranken einen Wein vom See, den er anständig, geradeheraus, mackenlos fand.
Morgen würde er in Thun lesen, anlässlich des Thuner Literaturfestivals.
Und übermorgen als «Writer in Residence» nach St. Louis / Missouri fliegen, für zwei Monate.
Wir sprachen über Amerika. Draussen wurde es dunkel. «Langsam» würde sich als Adverb dazugehören, aber es wurde einfach dunkel.
Er wusste gut Bescheid über die «Schweizer Literatur», die es, waren wir uns einig, so nicht gibt. Wir sprachen über Dinge, die es so nicht gibt, Amerika und die Schweizer Literatur.
Ich hatte den Roman innert drei Tagen gelesen, und eine Einführung geschrieben. In einer Kritik hatte ich gelesen, er habe das erste Kapitel dort und dort «mit einer harten Diktion» gelesen.
In Hamburg ist literarisch erstaunlich wenig los, meinte er. Dabei sei das doch eine Stadt, die geradezu klassisch darauf ausgerichtet sein müsste. Dabei wäre das doch eine Stadt etc.
Am Veranstaltungsort fanden sich gerade mal 12 Leute ein. Habitués zumeist. Les absents ont toujours etc. Toujours a toujours un etc. Eine russische Cellistin im Kongresshaus, Sportwochen – wenig Publikum hier. In Biel ist literarisch erstaunlich viel los.
Im Roman geht es um eine Verlegerin, welche die Wahrheit usurpiert. Sie biegt und bricht sich die Welt zurecht, wie es ihr und nur ihr passt. Wahr ist nicht, was wahr ist, wahr ist, was die Verlegerin als wahr definiert. In den Romanen von Norbert Gstrein geht es um «solche Dinge» – und um die Verheerung, die solche Zurechtbieger anrichten.
Nein, Lyrik habe ich nie geschrieben, sagt er, das liegt mir nicht.
St. Louis soll eine gefährliche Stadt sein, auch für amerikanische Massstäbe. Was heisst gefährlich?
Er isst Capuns, wie ich. Es sind «Bündner Wochen». Das Essen liegt ihm.
Natürlich ist seine Wirklichkeit verstrickt mit jener im Roman, oder besser, oder nein, anders: die Wirklichkeit im Roman ist verstrickt mit seiner. Er spricht nicht schlecht über die Romanfiguren. Er spricht also nicht schlecht über die Figuren, die – – – Modell standen?
Es ist ein angenehmer, relaxter Abend. Wie wenn das Modern Jazz Quartet im Wintergarten des Financial Centers in New York spielen würde. Als das Modern Jazz Quartet im Wintergarten des Financial Centers in New York spielte, lehnte ich mich zurück und verfiel in entspanntes, ungerichtetes Träumen. Als würde man reiten und sich ausschliesslich auf das Lenken des Pferdes konzentrieren.
Ich wäre gern in einem als «italian» deklarierten Restaurant in St. Louis. Das Wort «Missouri» kann man wunderbar rollen, texanisch. Wir würden Fettuccine essen, einen mackenlosen Wein aus Kalifornien trinken, und kein Wort über Literatur sprechen. Oder nur sehr wenig.
Ich brachte ihn ins Hotel zurück. Du hast mir die Segel gesetzt mit Deiner Einführung, sagte er, es war dann ein Leichtes, aus dem Hafen zu fahren. Auf das glitzernde Meer hinaus.
Ich ging nach Hause und überlegte an meinem Roman herum, in dem einer versucht, der Literatur zu entgehen.
Ich holte ihn ab in der «Lindenegg», er sass im wintergartenhaften Vorbau. Wir tranken einen Wein vom See, den er anständig, geradeheraus, mackenlos fand.
Morgen würde er in Thun lesen, anlässlich des Thuner Literaturfestivals.
Und übermorgen als «Writer in Residence» nach St. Louis / Missouri fliegen, für zwei Monate.
Wir sprachen über Amerika. Draussen wurde es dunkel. «Langsam» würde sich als Adverb dazugehören, aber es wurde einfach dunkel.
Er wusste gut Bescheid über die «Schweizer Literatur», die es, waren wir uns einig, so nicht gibt. Wir sprachen über Dinge, die es so nicht gibt, Amerika und die Schweizer Literatur.
Ich hatte den Roman innert drei Tagen gelesen, und eine Einführung geschrieben. In einer Kritik hatte ich gelesen, er habe das erste Kapitel dort und dort «mit einer harten Diktion» gelesen.
In Hamburg ist literarisch erstaunlich wenig los, meinte er. Dabei sei das doch eine Stadt, die geradezu klassisch darauf ausgerichtet sein müsste. Dabei wäre das doch eine Stadt etc.
Am Veranstaltungsort fanden sich gerade mal 12 Leute ein. Habitués zumeist. Les absents ont toujours etc. Toujours a toujours un etc. Eine russische Cellistin im Kongresshaus, Sportwochen – wenig Publikum hier. In Biel ist literarisch erstaunlich viel los.
Im Roman geht es um eine Verlegerin, welche die Wahrheit usurpiert. Sie biegt und bricht sich die Welt zurecht, wie es ihr und nur ihr passt. Wahr ist nicht, was wahr ist, wahr ist, was die Verlegerin als wahr definiert. In den Romanen von Norbert Gstrein geht es um «solche Dinge» – und um die Verheerung, die solche Zurechtbieger anrichten.
Nein, Lyrik habe ich nie geschrieben, sagt er, das liegt mir nicht.
St. Louis soll eine gefährliche Stadt sein, auch für amerikanische Massstäbe. Was heisst gefährlich?
Er isst Capuns, wie ich. Es sind «Bündner Wochen». Das Essen liegt ihm.
Natürlich ist seine Wirklichkeit verstrickt mit jener im Roman, oder besser, oder nein, anders: die Wirklichkeit im Roman ist verstrickt mit seiner. Er spricht nicht schlecht über die Romanfiguren. Er spricht also nicht schlecht über die Figuren, die – – – Modell standen?
Es ist ein angenehmer, relaxter Abend. Wie wenn das Modern Jazz Quartet im Wintergarten des Financial Centers in New York spielen würde. Als das Modern Jazz Quartet im Wintergarten des Financial Centers in New York spielte, lehnte ich mich zurück und verfiel in entspanntes, ungerichtetes Träumen. Als würde man reiten und sich ausschliesslich auf das Lenken des Pferdes konzentrieren.
Ich wäre gern in einem als «italian» deklarierten Restaurant in St. Louis. Das Wort «Missouri» kann man wunderbar rollen, texanisch. Wir würden Fettuccine essen, einen mackenlosen Wein aus Kalifornien trinken, und kein Wort über Literatur sprechen. Oder nur sehr wenig.
Ich brachte ihn ins Hotel zurück. Du hast mir die Segel gesetzt mit Deiner Einführung, sagte er, es war dann ein Leichtes, aus dem Hafen zu fahren. Auf das glitzernde Meer hinaus.
Ich ging nach Hause und überlegte an meinem Roman herum, in dem einer versucht, der Literatur zu entgehen.