LiteraTour, 12.10.2011

Die LiteraTour ist eine Lesetour der Preisträgerinnen und Preisträger des Berner Literaturpreises, die jedes Jahr neu aufgelegt wird. Bern, Burgdorf, Thun, Langenthal, Thun, Saanen, Langnau, Interlaken, Schwarzenburg, überall dort wird 2011 gelesen, in unterschiedlichen Zusammensetzungen.

In Biel: Franz Dodel, Urs Mannhart und Ernst Schär, Tommy Vercetti, «Bern ist überall» mit Noëlle Revaz, Michael Stauffer und dem Musiker Michael Pfeuti

Die LiteraTour wird vor-organisiert. Wir müssen nicht viel beitragen. Keine Hotels reservieren, keine Einführung schreiben. Den Saal reservieren, die Einladungen verschicken. Und dann dürfen wir für einmal einfach dort sein. Der Kanton Bern zahlt sogar ein Apéro. Kultur auf dem Parkett, Orangensaft, Tapitas. Ist ok, ist ok.

Schriftsteller leben eher schlecht als recht, wenn sie nicht gerade Harry Potter unter der Treppe haben. Der Staat leistet sich sie. Seht, wir schauen nicht nur aufs Geld, auf den Wachstumskoeffizient, die Konsumentenstimmung. Ein Staat, der sich Kritik leistet, ist vermutlich besser als ein Staat, der Kritik unterdrückt. Mit den Lesungen verdienen sich die Autorinnen und Autoren zum Preisgeld hinzu ein Zubrot. Ein Zubrötchen. Tapitas.

Henry Kissinger erhält für eine einstündige Rede 250'000 Dollar. Obwohl er vor sehr langer Zeit als Nationaler Sicherheitsberater der USA tätig war (1969 bis 1973), und die Welt keineswegs sicherer geworden ist, ist er immer noch sehr gut im Geschäft. Clinton erhält das Doppelte, Greenspan immerhin noch 300'000. Schriftsteller backen da kleinere Brötchen. Tapitas. Von Kissinger stammt der Satz, das wirksamste Aphrodisiakum sei die Macht. So Sätze sind schon eine Viertelmillion wert.

Bei Franz Dodel steht der Satz «Es ist etwas Geistiges in den Schneehasen; gut ist, dass sie sich vermehren.»1 Damit wird man natürlich nicht aphrodisisch. So wenig wie mit dem «Haiku, endlos», an dem er seit 2002 fortschreibt.2

Wirtschaftlich noch sinnloser ist die Arbeit von Urs Mannhart und Ernst Schär: 14 Lithographien von Gräsern (Lithograph: Ernst Schär) mit kurzen Texten von Urs Mannhart, zusammengestellt zu einer bibliophilen Mappe, Titel: Halm oder die Verlängerung des Abends in die Gräser hinein, Auflage: 50. Eine Mappe kostet 250 Franken. Wenn ich sie dabei gehabt hätte, hätte ich eine Mappe gekauft. Nicht nur, um wirtschaftlich völlig sinnlose Unterfangen zu unterstützen. Ich bin kein Rotarier. Sondern um mich zu unterstützen. Wenn ich die 250'000 Dollar für Kissinger hätte, würde ich ihn mir trotzdem nicht leisten. Er unterstützt mich nicht. Ich glaube, wer Kissinger kauft, will nicht wissen, was er erzählt (nein halt, das ist nicht das richtige Wort – was er für eine Rede hält). Er will zeigen: Ich kann mir Kissinger leisten. Aphrodisiaka kaufen. Berührend, wie Schär die wissenschaftlichen lateinischen Namen der Seggen ernst herunterliest. Es ist schwieriger, als zu sagen: Vietnam. Fein, klug, was Mannhart zu den banalen Gräsern einfällt. So fein und klug, dass ihnen die Banalität abhanden kommt.

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Tommy Vercetti gehört einer jungen Generation an. Er rappt. Es ist kein beinharter Saintlouisrap. Auch kein Goethe. Er hat ein gutes Rhythmusgefühl. Vielleicht hat sich der gehobene Teil der Kommission damit schwer getan, einen Rapper zur Literatur zu rechnen, und ihm einen Preis zu verleihen. Ich kaufe mir die CD3. Man soll offen bleiben. Man soll nicht verhocken. Man soll über den Horizont hinausschauen. Manchmal besuche ich Slam-poetry-battles. Dort stehe ich dann, und trinke ein Bier, und dann noch eines. Dann kommt die Pause, und dann trinke ich ein weiteres Bier. Mehr verträgts nicht, da ich noch über eine Stunde zurück nach Hause fahren muss. Das Publikum lacht dort, wo es vorgesehen ist, dass es lacht. Manchmal sehe ich den Unterschied zwischen einem Standup-Comedian und einem Slampoet nicht. In New York sah ich junge Schwarze («black afroamericans»), die ganz ernsthafte, wunderbare Raplyrik vortrugen. Mit einer harten, beinharten Diktion. Aber die Texte, Mann, die Texte haben mir die Ärmel reingezogen, echt, Mann, literally. Jederzeit wieder, gern. Ich war fast ein wenig süchtig nach diesen Texten, die auch vom Meer sprachen, papa we’re gonna sailing, vom Indian Summer in Maine und Vermont, und von Mischlingshunden. Auch Vercetti würde ich, wieder, gern, schauen, jederzeit. Dass er geehrt wurde, ehrt auch die Kommission, die ihm diese Ehre zuteilte.

«Bern ist überall» ist lustig. Jaja. Man kann Sprache verballhornen, mit ihr spielen, sie quetschen, dehnen, langziehen, kurzfädeln. Natürlich hat sie per se eine rhythmische Qualität, und eine Melodie. Und natürlich kann man aus Sprache einen Event machen, und die Worte sportlich herunterfetzen. Das kommt meistens gut an, ist ok, ist ok so. Nichts dagegen.

Der Applaus bei Kissinger, kann ich mir vorstellen, ist brandender, tosender als der an diesem Abend heute. So ist das, heute, auf diesem Planet Erde.

«Auch wir Menschen kennen dieses Sehnen; das ist es, was die Hunde an uns so gerne riechen.»4

1 DODEL, Franz: Von Tieren. Bern 2010 (edition taberna kritika), S. 70
2 http://www.franzdodel.ch/haiku/
3 VERCETTI, Tommy: Seiltänzer (CD, EAN
761202796782)7, erhältlich z.B. bei Ex Libris
4 DODEL, Franz: op. cit., S. 85
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