The loneliness of spirit

Er fehlt mir, wenn er nicht bei mir ist – – –

Im Sommer ist es heiss, das Auto heizt sich schnell auf. Wir haben den Aufpreis für die Klimaanlage und die Scheibentönung im Dacia nicht wegen uns auf uns genommen, sondern wegen den Hunden. Wenn es wirklich, wirklich heiss ist, lassen wir die Hunde lieber zuhause, wenn wir einkaufen gehen. Sie können dann im Schatten ruhen. Wenn wir einkaufen gehen, sind wir höchstens 45 Minuten weg. Aber die Hunde fehlen uns schon. Schon nach 20 Minuten. Oder sagen wir: 10 – – –

Wenn wir nach Hause kommen, zeigen die Hunde eine derart grosse Freude, als wären wir ein ganzes Jahr weggewesen. Das rührt uns. Das rührt uns sehr. Was für grossartig zugewandte Menschen diese Hunde sind – – –

Am 1. Dezember 2005 griffen Hunde «vom Pitbull-Typus» im Zürcherischen Oberglatt den sechsjährigen Kindergärtler Süleyman an und töteten ihn. Von Behörden und auch aus Hundekreisen hörte man im Zusammenhang mit diesem Ereignis oft den Ausdruck «Bissunfall». Das ist eine Beschönigung. Es war zumindest ein «Unfall mit Ansage». Der Hundehalter Morris Castellarin nannte das Ganze gar «ein blödes Ereignis». In der Tat. Er wurde zu 30 Monaten verurteilt, und kam dann «wegen guter Führung» (im Gefängnis, nicht von Hunden) nach 20 Monaten frei.

Politikerinnen und Politiker nahmen den Vorfall zum Anlass, die Schrauben anzuziehen. Als hätte man darauf gewartet. Nationalrat Heiner Studer (EVP) und Nationalrätin Kathy Ricklin (CVP) erklärten, sie seien «hoch motiviert, in den nächsten Monaten griffige Massnahmen gegen Kampfhunde zu ergreifen». Griffige Massnahmen. Das Wort «griffig».  – – –

Hundehaltende müssen jetzt einen sogenannten Sachkundenachweis erbringen. Ein bisschen Theorie, ein bisschen Praxis. Schrauben anziehen. Es ist schwierig, den Nachweis zu erbringen, dass der Sachkundenachweis erbracht wurde. Administration. Personal. Kontrolle. Sanktionen. Personen wie Morris Castellarin besuchen keine Kurse für den Sachkundenachweis.

«Kommunikation» äussert sich heute immer deutlicher darin, dass ein Wort das andere anstösst. Griffig. Massnahmen. Wie Dominosteine stossen Worte Worte an, und die Repliken auf die angestossenen Worte sind ebenfalls von Worten angestossene Worte. Es gibt fast keinen Ausweg aus diesem weich gepufferten, abgeschliffenen, zartgeölten, gekämmten Wenndieseswortdannjeneswort-System.

In jemanden, der es geschafft hat, diesem System nicht zu erliegen, verliebe ich mich fast unweigerlich. Die Responsorien von Trakl sind etwas anderes als das Wenndieseswortdannjeneswort-System. In den Gedichten von Trakl leuchtet ein Wort ein anderes über die Zeilen hinweg an, und der Sprachraum erhellt sich so immer mehr, bis er ein Lichtersaal ist, durch den man dann staunend spazieren kann. Oft sind es Schriftsteller, die dem Wenndieseswortdannjeneswort-System entgehen. Sie sind die Distanzhalter zum Jargon. Der Preis für die Distanz ist allerdings hoch. Aber das ist eine andere Geschichte – – –

Die «Hundediskussion» ist fast ausschliesslich eine Diskussion, die im Wenndieseswortdannjeneswort-System geführt wird. Leider ist es so: Wenn man den Phrasen nachgeht bis zu dem Punkt, wo sie verkörpert werden, (Büchner hat in Dantons Tod eine seiner Figuren – Mercier – sagen lassen: Blickt um Euch, das Alles habt Ihr gesprochen, es ist eine mimische Übersetzung Eurer Worte), steht man vor Verboten, Richtlinien, Gesetzen, Sachkundenachweisen, Sanktionen.

Die Leute von Prevent-a-bite1 gehen in die Schulen und Kindergärten und fechten einen heroischen Kampf.
In der Schule für Blindenhunde in Allschwil lernen Hunde (meistens Labradore, Labrador Retriever, Retriever, wie Neruda – – – ), für Blinde die Welt zu sehen. Die Sonne zu sein – – –
Das verlässlichste Barryvox der Welt hat eine feuchte Schnauze.
Hunde detektieren für uns Trüffeln, Blasenkrebs, Verschüttete, Glutamat, Semtex.

Und so weiter, und so fort – – –

Hunde sterben wegen uns.
Hunde sterben für uns – – –

Der Lebensraum des Hundes wird enger und enger. Er wird so eng, dass Hunde zu beissen beginnen. Instinctive drift – – –

Beton. Strassen. Gesetze. Moral. Städte.

Mein Lebensraum wird enger und enger. Es wird so eng, dass – – –

Die Seele, das Seelchen beginnt zu japsen. Animula vagula blandula2 – – – Der Schwanengesang von Kaiser Hadrian – – –

Hunde sind Zeichen der Weite. Sie kommen aus der Weite. Könnten uns dorthin zurückführen – – –

Ich versuche, in der «Hundediskussion» die Distanz zum Jargon zu wahren. Es ist schwierig. Es ist sehr schwierig. Wir sind umzingelt von jovial grinsenden Worten. Von Vorgaben, was Anstand sei. Was das Richtige sei. Was fachlich gesichert sei. Wie etwas zu sagen sei. Was man gegenüber jemandem, der etwas sagt, zu sagen habe. Wenndieseswortdannjeneswort-System – – –

Ich möchte die Hunde verteidigen und sagen, wieso wir uns verteidigen, wenn wir sie verteidigen. Unseren Raum. Unsere Weite. Oh ja: Unsere Freiheit (liberté, freedom).

Aber meistens fehlen die Worte. Oder sie fallen massiert über mich her, und dann fehlt die Luft auch, die Wort-Luft. Dran bleiben. Dran bleiben, Rolf. Den Mund über Wasser halten. Über der Kloake.

If the beasts are gone, we will die of loneliness of spirit.3

So etwas meinte ich. Einfach mit anderen Worten. Einfach – – –
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1 http://www.prevent-a-bite.ch/index.htm

2 Du schweifendes schmeichelndes Seelchen / Gast meines Körpers, Begleiter / In welche Fernen zieht es dich jetzt / So nackt und so blass und schon so steif / Und die fröhliche Zeit ist vorbei. (Kaiser Hadrian)

3 ASKANI, Tanja: Wolfsspuren. Baden und München (AT Verlag). S. 7.

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