Der zweite – Wengen

Er schaute sich in der Wohnung um. Hier, also hier. Dabei wusste er noch gar nicht, dass es nicht das endgültige «hier, also hier» sein sollte. Ich schlief in der Küche mit ihm.

«Wenn es dunkel wird, sind Welpen, auch objektiv betrachtet – soweit möglich – in Gefahr. Eher in Gefahr als tagsüber». Erste Sätze aus einer neuen, nun ja: Wissenschaft. Kynologisches Raunen. Das atavistische Ritual befiehlt: Geh zu Mama und Papa, wenn die Füchse zur Jagd aufbrechen – dort ist es sicher. Während die Füchse schnürten, rappelte er zu mir. Dieser da – – – gleicht zwar weder Daddy und vor allem noch Mama, aber er ist gross, und bis jetzt hat er mir nichts getan. – – – Vielleicht – – – Und schon war er weg, eingesunken in das aufgehügelte Laken. Ich stellte den Wecker und trug ihn alle 2 Stunden hinaus auf den Balkon, wo ich aus Brennholz (Wände und Türen) und Altpapier (Bidet) ein WC gebastelt hatte. Es hatte Schnee, er fing an zu schlottern. Manchmal löste er sich. Manchmal nicht. «Nach dem Spielen, Fressen, Schlafen wollen sich Welpen lösen, nehmen Sie ihn mit auf den Arm, gehen Sie mit ihm hinaus, und stellen Sie ihn nicht auf den Boden, wenn Sie die Tür öffnen, es könnte bereits zu spät sein.»

Er hielt sich nicht an das überlieferte Wissen. Er löste sich kaum je nach dem Spielen, Fressen, Schlafen. Entweder war das überlieferte Wissen falsch, dachte ich, oder mein Hund ist kein normaler Hund. Normaler Hund, das Wort blieb hängen.

Er hatte Giardien, im Zwinger bereits. Giardia canis, Darmparasiten, die sich mit ihren Geisseln fortbewegen und nicht nur das: Sie sind auch solche. Sie setzen sich in der Darmschleimhaut fest und vermehren sich millionenfach, Myriaden von Giardien – – –Das war der Beginn einer langen, langen Leidensgeschichte, auch für mich, natürlich und vor allem aber für ihn.

Zoonose, wieder ein Begriff. Noch nie habe ich mich vor Körperausscheidungen so wenig, so überhaupt nicht beeindrucken lassen wie bei ihm.

In der Nacht leuchteten jeweils die Elektrogeräte, summten die Haushaltgeräte im Standby-Modus. Im dünnen, rötlichen Licht sah man die Schatten der Schneeflocken, die draussen niederrauschten, grau und schwarz flockten sie vorbei. Ich lauschte, ob ich sein Atmen hörte, in die Nacht hinaus, und da war es, schnell und nervös zog er die Luft ein und stiess sie wieder aus, während das Bäuchlein mit den knappen flaumigen Härchen rasch pumpte, auf und ab, ein und aus. Darein mischte sich das leise Murmeln der herabrauschenden Schneeflocken, ihr kaum vernehmliches Ploppen, wenn sie auf dem Boden aufschlugen. Er atmete, ich hörte ihm dabei zu – – – das Leben würde nie mehr so sein, wie es gewesen war – – –
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