In defence of dogs


Früher ging ich oft am Bielersee in Ipsach mit Neruda spazieren. Jetzt gehe ich da nicht mehr hin. Es hat jetzt dort Verbotsschilder. Man muss den Hund an die Leine nehmen, es drohen bei «Zuwiderhandlung» Bussen bis zu 1000 Franken.

Hundebesitzer sind Schwerverbrecher.

Ausser im Spätfrühling, im Hochsommer und im Frühherbst ist in Ipsach am See kaum jemand. Früh morgens sowieso nicht. Dann, wenn die Hunde unterwegs sind. Am auszwirbelnden Rand der Nacht – – –

Neruda kannte jeden Grashalm. Jeden Schwarzdornast. Die Strecke von Nidau über Ipsach bis nach Sutz kannte er wie seine Westentasche, die er nicht hat. Die er doch hat – – –

Ich habe viel erlebt am See mit ihm. Es war schön. Ich glaube, auch für ihn. Er war gern dort. Und immer freundlich und offen – – – Eine Seele. Ein Happy-go-lucky.

Die Partysuchthaufen am See zerstören die Grillplätze. Sie werfen Bierflaschen auf die Gehwege, in den See, in die Boote. Sie zünden die Abfallkörbe an. Sie zerstören die Holzhäuser der Gemeinde. Sie brechen ins «Cruchon» ein. Sie lassen alles liegen. Sie benutzen die Toiletten nicht. Sie benutzen den Wald. Wenn sie die Toiletten benutzen würden, würden sie sie zerstören, Deshalb sind die Toiletten über Nacht geschlossen.

Der «Sicherheitsbeauftragte» kontrolliert Hundehalter.

Vor den Feierbrüdern und -schwestern hat er Angst. Er ist ein Höseler.

Manchmal schwamm ich im Sommer hinaus in den See. Die Sonne ging auf. Aus dem Dunst zeichnete sich nach und nach die Sankt Petersinsel ab. Rousseau stand grad auf und ging dann mit der Botanisierbüchse ins Feld. Er hatte gern Traubengelée zum Frühstück. Neruda schwamm neben mir hinaus, die Sonne leuchtete in seinen Augen, und die Augen leuchteten dazu aus sich selbst heraus. Das innere Licht – – – Das auf mich überging, wie eine Folie über mich schloff.

Mit ihm hinauszuschwimmen gegen Rousseau, machte mich sehr glücklich. Ich war zuhause. Schwimmend angekommen. Auf schwankem Grund – – –

Dass Gemeinden «Sicherheitsaufgaben» an private Sicherheitsfirmen «auslagern», finde ich bedenklich. I’m a democrat. I defend democracy. I stand up for democracy. Das sagen die anderen «Demokraten» auch. Aber sie sitzen nur. Sie standen nicht up. Sie erlassen Sicherheiten. «Sicherheiten».

In Ipsach ist es eine fünfköpfige «Sicherheitskommission», welche die Verbote «erlassen» hat. 3 zu 2 war das Resultat der Abstimmung. Die Begründung für die Verbote wurde erst am Gespräch mit der Gemeinde, das ich mit einem anderen Hundehalter verlangt hatte – – – in defence of dogs – – – hervorgebrösmelet: Die anderen Gemeinden machen das auch, und weitere Fadenscheinigstkeiten.

Im Jahr 2010 wurden in der Schweiz 328 Menschen bei Verkehrsunfällen getötet, und 4'508 wurden verletzt. Das wird als Erfolg gefeiert, es sind weniger geworden über die Jahre.

Im Jahr 2009 wurden in der Schweiz 38'493 Rehe von Jägern getötet.

Ich wohne jetzt nicht mehr in der Gegend. Es tut mir leid für die Hunde in Ipsach. Und für deren Halter. Es läuft noch eine Unterschriftensammlung. Vielleicht wird man das Verbot lockern: Man darf den Hunden dann Freilauf gewähren, solange am See keine Parkgebühren bezahlt werden müssen. Die Parkometer werden dann abgedeckt, und vielleicht die Verbote auch. Sack drüber von Oktober bis Ostern.

Neruda hat oft heiss im Sommer – – – das schwarze Fell. Er schwimmt so gerne. Er tut fast nichts lieber als schwimmen. Er blüht richtiggehend auf im Wasser. Und ich blühe richtiggehend auf, wenn er richtiggehend aufblüht – – – Der Bielersee und Neruda, das war Liebe.

Hundehalter sind zu brav. Sie haben Sitz und Platz internalisiert. Wir müssen aufwachen und uns wehren. In defence of dogs.

Der Text wird so lang, weil mich die Geschichte fast erstickt. Buchstaben als Luft – – –

Ich habe dann noch, nachdem wir bereits einen langen Brief an die Gemeinde geschrieben hatten, einen Leserbrief geschrieben, der dann, naturgemäss gekürzt, im Biel-Bienne erschienen ist:

Leserbrief zum Artikel «Wuff soll weg» (Biel-Bienne vom 29./30. Juni 2011)


Die Gemeinde Ipsach hebelt jetzt Hunde und damit naturgemäss deren Halter mit massivsten Bussenandrohungen elegant vom See weg. Sie folgt damit wie die alte Feuerwehr anderen Gemeinden, die das auch tun.
Me too, me too! Eines weiss ich jetzt: Mein Entscheid, einen Hund zu halten, war der Entscheid, ein Schwerverbrecher zu werden.

Die direkt Betroffenen wurden nicht gefragt. Es gab keine Vernehmlassung. Es wurde kein Gespräch gesucht. Das müssen jetzt diejenigen Personen, die mit Hunden leben, selber organisieren, und das ist aufwendig, mühsam. Wir sind von Anfang an einen Schritt hintendrein, kommen schon zum Start zu spät. Dass
«ein paar Bürger die Einschränkungen bedauert hätten» ist eine deftige Beschönigung – das tönt dann so glatt, so einvernehmlich. Die Wahrheit ist eine andere: Das schnittige und kalte Vorpreschen der Gemeinde hat nicht wenige, um es nett auszudrücken, stark angesäuert. Deshalb haben ein paar von uns das Gespräch gesucht mit der Gemeinde, sammeln jetzt Unterschriften, versuchen das Wenige und wohl Aussichtslose, was man in so einer Situation unternehmen kann.

Den Entscheid hat die «Sicherheitskommission» locker gefällt – wer ist dafür, wer dagegen, nächstes Traktandum. Immerhin, im Boxen würde man von einer Split decision sprechen: Drei gegen zwei. Dass zwei, wie ich weiss, unter dem Entscheid sogar echt leiden, ehrt sie. Es wäre anständig und angebracht gewesen, wenn die direkt Betroffenen gefragt worden wären: Die Schwerverbrecher, die Hunde halten. Und es wäre wohl auch dienlicher gewesen, wenn man sich den tatsächlichen «Sicherheitsproblemen» gestellt hätte, von denen gibt es am See mehr als genug. Aber Vandalen, Diebe, Abgedrehte, Volltrunkene, Phon-Immune und Viel-Litterer auszuhebeln, ist halt viel schwieriger als die braven Hundehalter, die bereitwillig Sitz und Platz machen.

Jetzt gehört der See ganz den fröhlichen Partygängern und den revierbewussten Grill-Clans. Beim ersten Herbstgewitter werden die gegangen sein, dann kommt der lange, einsame Winter, und Tag um Tag geht ins Land. Ausser Hundehaltern hat es jeweils am See zwischen September und April niemanden. Und bis um 9 Uhr morgens übrigens auch im Sommer kaum jemanden. Die Verbote am See gelten aber für das ganze Jahr, 24 Stunden, 365 Tage.

Der Hinweis, es
«gebe noch genügend Gebiete, wo die Vierbeiner ihren Bewegungsdrang frei ausleben können» entspricht schlicht nicht den Tatsachen. Es ist palliativ dahergesagt. Solche Gebiete gibt es schon lange nicht mehr, abgesehen von der Setzzeit der Wildtiere und der Jagd haben Einschränkungen, Verbote, Verordnungen und nicht zuletzt auch unhinterfragte und oft ein wenig grossspurige Haltungen gegenüber Tieren ganz allgemein dazu geführt, dass das Wort «frei» zynisch gebraucht wird und es, betrachtet man die Sache näher, eigentlich unmöglich geworden ist, als Tierhalter das Tierschutzgesetz einzuhalten.

Was mir, über alle lokalen Kalamitäten hinaus, zu denken gibt: Die Geschichte zwischen Mensch und Hund ist sehr alt und sehr lange. Für den Hund war (und ist) sie wohl nicht immer positiv, für den Menschen schon, und ich denke hier weniger an Lawinenhunde, Blindenhunde, Therapiehunde oder an die Border Collies meines Nachbaren, die grosse Schafherden klaglos und perfekt von morgens früh bis abends spät hüten, wie sie das schon seit hunderten von Jahren tun. Ich denke an etwas, für das es sehr schwierig ist, Worte zu finden, etwas, das sich in den anthropologischen Rinden der Menschheitsgeschichte abgelagert hat. Der englische Biologe John Bradshaw, der diese Rinden erforscht, hat dazu ein tiefsinniges Buch geschrieben mit dem Titel «In defence of dogs». Er hätte es auch «In defence of humans» nennen können. Ich befürchte, wir sind an dem Punkt, an dem wir sie (uns) verteidigen müssen. Die Gemeinde Ipsach hilft mit dem unüberlegten, kleinherzigen und irgendwo auch herablassenden Vorgehen, mit diesem Mitpflastern an Einschränkungen und Marginalisierungen, diesen dünnen Faden – für den es schwierig ist, wie gesagt, die richtigen Worte zu finden – zu kappen. Die Hundeverbote sind nur ein Ausdruck von etwas Umfassenderem – Und dagegen sollten wir uns wehren.

Natürlich verpuffen solche Aktionen. Wir verlieren immer mehr Raum. Wir verlieren – – –

Es ist nicht, um zu gewinnen. Es ist, damit die Seele nicht sauer wird.

Ich lese ein sehr kluges Buch, ein tiefsinniges, das sich mit diesen schwierigen, weit über die Hunde hinausführenden – und doch zu ihnen hinführenden – Themen beschäftigt. Es trägt, wie im Leserbrief erwähnt, den schönen und überlegten Titel «in defence of dogs».1 Darin lesen ist bereits der Anfang der defence.

Wir haben am Murtensee eine Stelle gefunden, an der man in den See hinausschwimmen kann. Das Wasser wird kühl sein. Unter uns werden die Welse bläulich phosphoreszieren. Sie tun das, wenn zwei über ihnen schwimmen, die sich gern haben. Kluge Fische.

Die Insel sieht man dabei nicht. Dafür Lugnorre, Bellerive und den Vully.

Aber das ist nebensächlich. Wichtig ist das Gemeinsame. Die leuchtenden, warmen Augen – – –



1 BRADSHAW, John: In defence of dogs. Why dogs need our understandig. London 2011 (Penguin Books). Es gibt auch eine amerikanische Ausgabe, der Titel des (identischen) Buches lautet: Dog Sense. How the new science of dog behavior can make you a better friend to your pet. New York 2011 (Basic Books).

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